Momus: Dunes

Berlin 1991

Abends 23 Uhr. Mein Platz im Anbau mit Blick auf die Kreuzung Kochstraße Ecke Lindenstraße (heute treffen sich dort die Rudi-Dutschke-Straße und die Axel-Springer-Straße). Wenn ich mich etwas vorbeuge und aus dem Fenster nach links blicke, sehe ich den inzwischen verwilderten und von Trampelpfaden durchzogenen Mauerstreifen entlang der Zimmerstraße im trüben Licht der Straßenlampen. Manchmal habe ich immer noch das Gefühl der Unwirklichkeit (das Foto von mir entstand im Sommer 1982 genau an der Stelle).
Das kurze, kaum spürbare Vibrieren des Gebäudes hat, wie jeden Abend, das Anlaufen der Rotationsmaschinen signalisiert. Das Tagwerk ist vollbracht, der Leuchttisch aus. Das Licht in der Abteilung aus. Die Kollegen sitzen an Ihren Arbeitsplätzen im Schein einer kleinen Lampe. Einige mit einem Bier oder Wein. Zwei Plätze vor mir wird Schach auf einem in der obersten Schreibtischschublade fest installierten Brett gespielt. So werden die Stellungen über Tage konserviert für die Partie in der letzten halben Stunde vor dem Feierabend. Einige Kollegen stehen im Halbdunkel und beobachten das Spiel, kommentieren leise. Ich lese meinen Lem.

Pure Vernunft darf niemals siegen

Kanaldienstag.
Eines der letzten Male wohl.

Bundeswehrkrankenhaus Kiel-Kronshagen, Oktober 1984

Wir Kranken mit unklaren oder gar psychosomatischen Symptomatiken wurden erstmal im sogenannten Hungerturm untergebracht. Hier landeten normalerweise Zeit- oder Berufssoldaten zum Abnehmen, sobald sie nicht mehr durch die Panzer- oder U-Bootluken passten. Die Tischtennisplatte in der Mitte des runden Turmzimmers diente nicht nur der körperlichen Ertüchtigung und damit der Gewichtsreduktion, sondern zu den Mahlzeiten auch als Esstisch, auf dem für die eine Hälfte von uns gedünstetes Gemüse oder Salatteller, für die andere Hälfte rheinischer Sauerbraten mit Rotkohl und Klößen oder Grünkohl mit Wurst serviert wurden.

Der Klinikfunk-DJ konnte mir natürlich keinen meiner Musikwünsche erfüllen, bescherte mir aber mit der Nennung meines Namens ein begrenztes Maß an Prominenz.