Dienstag, 27. Februar 2018



Shelfie 55

Wie ich am Südufer des Langsees nahe Schleswig in der Nacht vom 7. auf den 8. November 1984 Averell erschoss.

In dieser Nacht würden wir nicht mehr zur Ruhe kommen. Wir krochen nach den Entwarnungen nur noch zum Schein in unsere Zelte, die Ausrüstung blieb am Mann.
Immer wieder brüllte einer der Ausbilder ein langgezogenes „Alaaaarrrm“ und wir wurden auf dem Weg zu unseren Alarmposten durchs Dickicht von unsichtbaren Gestalten im Stress gehalten: „Schneller!“, „Schlaft nicht ein!“, „Da müssen die Socken glühen!“. In der Alarmstellung angekommen passierte dann gar nichts. Etwas warten, Entwarnung, zurückschlurfen zum Zelt. Eine Parallelwelt. Ein Spiel. Das normale Leben unwirklich da draußen, irgendwo in der Vergangenheit. Die Nacht endlos.
Zwei Uhr, drei Uhr. Müdigkeit. Klamme Kälte. Ich liege in meiner Stellung, einem flachen, von mir am Nachmittag an einer Böschung gegrabenen Erdloch, als plötzlich die Ebene vor uns von langsam im Wind treibenden Leuchtkugeln an Fallschirmen in orangefarbenes Licht getaucht wird. In vielleicht zwanzig Metern Entfernung vor mir sehe ich einen seltsamen Nebel über dem Boden. Sie hatten uns in den letzten Tagen ausgiebig mit Reizgas traktiert, ich hatte einiges davon eingeatmet, ich kenne die drastische Wirkung und das hat in mir pawlowartig eine Panikreaktion zur Folge. Ich schreie „Gas!“, wie wir es gelernt haben und fingere gleichzeitig meine Atemschutzmaske aus der Gummitasche. Irgendwie über den Kopf das Ding, egal. Links und rechts von mir in einigem Abstand keuchen die Anderen. In diesem Moment sind wir schutzlos. Scheiße, die Gläser beschlagen. Sind sie beschlagen oder ist es schon das Gas? Keine Ahnung, abnehmen und auswischen geht nicht mehr. Ich liege in meinem Scheiß Erdloch, meine Scheiß Maske ist beschlagen, ich sehe nur milchiges Orange. Ich nehme die Waffe in den Anschlag, Gas heißt immer Angriff, das ist klar. Dass das hier nur eine Übung ist, ist schon komplett weg aus dem Bewusstsein. Mein Puls wummert in den Ohren.
Da, der dunkle Umriss einer Gestalt vor mir an der anderen Seite der Böschung, orange verschwommen durch die beschlagenen Gläser. Vielleicht fünf Meter, nicht mehr. Ich drücke ab, immer wieder. Zehn Mal, fünfzehn Mal. Das Mündungsfeuer blendet mich. Dann ist die Gestalt fort, nur noch Orange. Ein Riss in meiner Welt, ich richte mich auf. Horche. Alles ruhig. Ich stehe auf, gehe langsam den Weg zum Lager, nehme die Maske ab. Egal. Alles ist ruhig, ich bin ruhig. Das wollte ich nicht. Das durfte doch nie passieren. Ich setze mich ans Lagerfeuer. Das Feuer ist so schön warm. Ich weine.
Ich laufe in dieser Nacht bei keinem Alarm mehr mit, bleibe einfach sitzen. Seltsamerweise lässt man mich.



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(Am nächsten Tag erfahre ich, dass ich Averell erschossen habe, einen der Hilfsausbilder, der von der Ähnlichkeit in Aussehen und Gemüt dem Ältesten der Dalton-Brüder seinen Spitznamen verdankte. Er hatte sich verschätzt unter seiner Maske, sollte uns frontal mit mehreren anderen angreifen und war einfach zu schnell gelaufen. Er hatte sich fürchterlich erschreckt, als plötzlich mein Mündungsfeuer vor ihm aufblitzte.)

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*Streichholzbrief*

Ich dachte niemand bewahrt mehr alten Kram auf als ich...

Mag ich sehr, das Ganze so.

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Das Krambewahren ist ja eine Domäne des männlichen Singlewesens. Hier allerdings eher in der Form der Artefaktehrung im Gegensatz zur das-kann-man-irgendwann-nochmal-gebrauchen-Doktrin.

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Mit Ersterem komme ich gut klar, das verstehe ich sogar sehr und versuche gerade beherzt, mich dagegen zu wehren bevor es Überhand nimmt.
Recht erfolgreich, wie ich meine.

Und Bücher kann man immer irgendwann nochmal gebrauchen. Selbst mit den wirklich schlechten kann man noch 1 gebrochenes Tischbein austarieren.

Ich mag Ihren virtuellen antiquarischen Devotionalienschrein, gepaart mit den Erinnerungen.

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